Vilmar, Antiamerikanismus – eine kritische Analyse

HS mittwochs 14-16 Uhr  22/UG 2

Kommentar

Das Hauptseminar wird die politikwissenschaftliche Klärung eines politischen Schlagworts erarbeiten, das seit der deutsch-amerikanischen Kontroverse um den Irak-Krieg hohe Aktualität genießt: Antiamerikanismus.

Im Kern geht es dabei erstens um eine ideologiekritische Unterscheidung berechtigter USA-kritischer Analysen von unkritischen antiamerikanischen Vorurteilen..

Zweitens aber geht es ebensowohl um die Kritik einer besonders in Westdeutschland nach dem Krieg modisch gewordenen Idolatrie des „american way of life“ als einer angeblich besonders „weltoffenen“, „pragmatischen“, „demokratischen“ - eben „modernen“, nicht-traditionalistischen Lebensform. Ablehnung einer us-amerikanischen politisch-ökonomischen und kulturellen (ja sogar sprachlichen) Hegemonie wird aus dieser idealisierenden Sicht als „antiwestliche“, tendenziell sogar antidemokratische Haltung diffamiert.

Demgegenüber werden im Seminar zahlreiche empirisch gesicherte Fakten zusammengeführt und referiert, die es erlauben, wesentliche sozio-kulturelle und ökonomische Tatbestände der us-amerikanischen Gesellschaft und insbesondere auch ihre globalen (oft hegemonialen) Auswirkungen zu erkennen und zu beurteilen.

Leitfragen: Gibt es weltweit - nicht zuletzt auch in Deutschland - wirksame Herrschaftsstrukturen der amerikanischen Konzern- und Finanzmacht, der Kultur- und Unterhaltungsindustrie, der Militärpolitik und eines „Sprachimperialismus“ (R. Philippson), die einen „Antiamerikanismus“ im Interesse europäischer und auch deutscher kultureller Identität rechtfertigen?

Stimmt die These, daß die USA-Kritik nicht auf die Formel eines pauschalen Antiamerikanismus zu bringen ist, da dieses Schlagwort die grundlegende Gegensätzlichkeit der kritischen amerikanischen Minderheitskultur und der Mehrheitskultur nicht in Betracht zieht?

Das Seminar setzt gute englische Sprachkenntnise voraus, da sich die Analysen u.a. auf Texte us-amerikanischer Kritiker wie Sweezy; Packard; SDS; Rapoport; Chomsky, Protestbrief von über 100 amerikanischen Wissenschaftlern gegen die Kriegspolitik von Bush bezieht.

Literatur (Auswahl):

Heinz Bude / Bernd Greiner (hg.) Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg 1999; Noam Chomsky, War against people. Menschenrechte und Schurkenstaaten, Hamburg/Wien 2002; Michael Moore, Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter G. W. Bush. München/Zürich 2001; Im Sog des Westens (Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 2, Juni 2001; Antiamerikanismus, Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 1 März 2000; Fritz Vilmar, Sprachimperialismus. Analyse - Widerstand, in K. Gawlitta/F. Vilmar (Hg.), „Deutsch nix wichtig“? Engagement für die deutsche Sprache, Paderborn 2002, S. 12-34.

Seminar Antiamerikanismus – neuer Semesterplan - Referate

14. 5.:  Der us-amerikanische Kapitalismus/Weltpolitik/Globalisierung:

Daniel Kennedy (drky@duke.ed); Ruben Lehnert (0171-9244476),

Ölinteressen: Christoph Sprung. Spezieller Schwerpunbkt: Saatgutmanipulation: J. Quack                                      

21. 5.: Ideologie des „Weltgendarmen“, Protestantischer Fundamentalismus

Ina Brzovska (inabrz@web.de); André Salem (als Gast)

Michael Ferschke (030-60975577:Zur aktuellen Außenpolitik Bushs

Chomskis Kritik: Sonja Schneller, Chi-Hoy Tran

28. 5.: Amerikanische Rüstungs- und Interventionspolitik:

Jonatan Korlikowski(0179-8411930); der „Militärisch-industrielle Komplex“:F.V.

USA-interne Kritik: Alexandra Meyer: Antivietnamkrieg-Bewegung u. amerikanische Stud.bewegung (Marcuse...)

4. 6.: Amerikanische Deutschlandpolitik : Leontine v. Richthofen (leontineur@vahoo.com)

           Antikommunistische Containment-Politik: F..V.

11.6.:  Die us-amerikanische „Antiterror“-Politik eine Politik weltweiter (ökonomischer) Einflußsphären-Sicherung;

Julian Quack; Dana Jelic (jelic@yahoo.com); Christina Kärcher (63901737), Nora Schüttpelz;

11.Sept. und CIA-Manipulation: (Referent?)

18. 6.  Irakkrieg – offizielle Begründungen und tatsächliche Motive

Ulrike Kehrberg; Simone Mayer; Bassam Ewaida; Simone Vana; Ruben Lehnert; Michael Ferschke; Jasna Miletic (jasnami@freenet);                      

25. 6. und 2. 7. : Die us.-amerikanische Kulturindustrie (Wissenschaftsbetrieb; Bücher, Filme, Internet, U-Musik,  Kosmetik, fast-food) – Dominanz gegenüber allen anderen Weltkulturen (Teilbereiche:  - Film - U-Musik - Wissenschaft etc.

Claire Morens; Bernd Mating; Dastan Jawlow; Bütem Aksay; Sarah Rüffler

a) Feza Inan: Kulturindustrie; Martina Kofer: Adorno, Kulturindustrie

b) Isabel Klink (schnirki@hotmail.com): Hegemonie Hollywoods -  Julia Hornberg (USA-kritische Kriegsfilme); Maik Bethke ((mbethke@web.de)Internet); Uwe Birkel

c) Jan-Philippe Schlüter, Einfluß der us-Popmusik

d) Kommerzialisierung/Verdinglichung der menschlichen Intimsphäre -  insbesondere Entfremdung der weiblichen Persönlichkeit:

Inga Vollstedt ((inga@vollstedt.net); Pia-Pascale Gierke

9. 7.: Extreme Gewaltbereitschaft der us-amerikanischen Gesellschaft:

Daniela Welsch (0172-2503933); Anne Sanders (anne-sander@gmx.de: in Verbindung mit Darstellung von Gewalt in Filmen.)

16. 7.: Pervertierungstendenzen der amerikanischen Demokratie; Medienmanipulation

Anne Ripping (anne.ripping@gmx.de); Jeannette Böhme; Margaret Anderson (margaret.anderson@web.de); Uwe Birkel (birkel@gmx.de);  Danatchrelashvili Badri; Steffen Brand (brandus79@ hotmail.com) ; Florian Moritz: Kritische Medien





BIBLIOGRAPHIE zum Seminar Antiamerikanismus

Antiamerikanismus, Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 1 März 2000;

Morris Bermann: Kultur vor dem Kollaps. Wegbereiter Amerika, Frankfurt /M 2002

Mathias Bröckers, Verschwörungen, Verschwörungstheorien und Geheimnisse des 11. 9, Frankfurt (nur bei Zweitauseneins) 2002

Heinz Bude / Bernd Greiner (hg.) Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg 1999;

Noam Chomsky, War against people. Menschenrechte und Schurkenstaaten, Hamburg/Wien 2002;

Karl-Heinz Deschner: Der Moloch. Zur Amerikanisierung der Welt, Stuttgart 1992

Dan Diner: Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit von Ressentiments, Berlin 2002

Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20 Jahrhundert.. Göttingen 1999

Barbara Ehrenreich: Arbeit poor. Reinbek 2003  

Hajo Funke: Der amerikanische Weg. Ideologie der Überlegenheit in der US-Administration. Berlin 2002 

Philipp Gassert, Amerikanismus, Antiamerikanismus und Amerikanisierung. Neue Literatur zur Sozial- und Kultur­geschichte des amerikanischen Einflusses in Deutschland und Europa, in: Archiv für Sozialgeschichte, 39 (1999), 5.531­561

Gegen-Standpunkt Heft 1/03: Amerikas Kreuzzug gegen den Terror - der Irak Krieg

(www.gegenstandpunkt.com)

Michael Hardt/Antonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt 2002

Im Sog des Westens (Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 2, Juni 2001;

Claus Leggewie, Amerikas Welt. Die USA in unseren Köpfen, Hamburg 2000,

Richard Löwenthal, Kulturwandel und Generationenwechsel im westlichen Nachkriegsdeutschland, in: James A. Cooney/Gordon A. Craig/Hans-Peter Schwarz/Fritz Stern (Hrsg.), Die Bundes­republik und die Vereinigten Staaten von Amerika. Politi­sche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen im Wandel, Stuttgart 1985, S. 55-86

Michael Moore, Stupid White Men. Eine Abrechnung mit dem Amerika unter G. W. Bush. München/Zürich 2001;

Michael Moore, Bowling for Columbine (herausragender Film über Waffen-Fetischismus und Gewaltbereitschaft in den USA), 2002

Ch. Noam: Haben und Nichthaben ( Class warfare). Berlin 2000

William Rivers Pitt (mit S. Ritter), Krieg gegen den Irak. Was die Bush-Regierung verschweigt, Köln 4. Aufl. 2003

Axel Schildt, Ankunft im Westen. Ein Essay zur Er­folgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1999.

Axel Schildt, Amerikanisierung, in: Detlef Junker/Philipp Gassert/Wilfried Mausbach/David B. Morris (Hrsg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990. Ein Handbuch, Stuttgart 2000

Gesine Schwan, Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945, Baden-Baden 1999

Hans v. Sponeck, Andreas Zumach, Irak. Chronik eines gewollten Krieges, Köln 2003

Malcolm Sylves: Die USA - Anatomie einer Weltmacht. Köln 2002

Fritz Vilmar, Rüstung und Abrüstung im Spätkapitalismus. Eine sozio-ökonomische Analyse des Militarismus in unserer Gesellschaft, 5. Aufl. Frankfurt 1970; darin: Funktionen der Rüstungswirtschaft und des Militarismus in den USA: S. 46-95; 135-190 (als rororo-TB Reinbek 1973, S. 24ff; 190 ff.)

Fritz Vilmar, Sprachimperialismus. Analyse - Widerstand, in K. Gawlitta/F. Vilmar (Hg.), „Deutsch nix wichtig“? Engagement für die deutsche Sprache, Paderborn 2002, S. 12-34.

Fritz Vilmar/AKF, Eine umfassende Alternative zur militärischen Antiterrorismuspolitik der USA, Dossier Nr. 40, in Wissenschaft und Frieden 2/2002

Ralph Willett, The Americanization of Germany, 1945-1949, London 1989.

Howard Zinn: Amerika, der Terror und der Krieg. Freiburg 2002




Fritz Vilmar: Antiamerikanismus. Einleitende ideologiekritische Thesen.

Die in diesem Seminar auf dem Programm stehende Analyse der Rede vom Antiamerikanismus sieht sich nicht mit einem inhaltlich gefüllten politologischen Begriff konfrontiert, sondern mit einem polemischen Schlagwort, mit dem pauschal jegliche generelle USA-Kritik diffamiert werden soll.

Antiamerikanismus ist, genau genommen, eine Totschlagargument gegen alle, die wesentliche Elemente us-amerikanischer Gesellschaft: Kultur, Politik, (Welt-)Wirtschaft kritisieren. Es bestreitet a priori das sachlichen Recht, sich von dem Gesamtphänomen oder von Teilelementen der us-amerikanischen Gesellschaft kritisch zu distanzieren und postuliert damit zugleich (offen, wie u. a.bei G. Schwan, oder unausgesprochen) die notwendige Anerkennung dieser US-Sozio-Kultur als der führenden „westlichen“ = demokratischen. Anstelle des unterstellten Anitamerikanismus wird die Anpassung an diese Soziokultur gefordert - positiv als Verwestlichung oder „Westernisierung“ - bezeichnet. 

Ich stelle dem die Gegenthese gegenüber: Das polemische Schlagwort Antiamerikanismus ist  nur in einem einzigen Fall sachgemäß anwendbar: dort, wo ohne rationale Begründung oder mit grundlosen Unterstellungen („Judenstaat“, „kulturlose Gesellschaft“) pauschale antiamerikanische Klischees übernommen werden.

Das Seminar geht also von der grundlegenden Hypothese aus:

            Notwendig und im Detail ausführlich zu belegen ist gegenwärtig eine USA-Kritik,        insofern diese kapitalistische Weltmacht zunehmend die - noch zu definierende -          „westliche Wertegemeinschaft“ nicht etwa führend repräsentiert, sondern im Gegenteil   diskreditiert.

Diese USA-Kritik als Antiamerikanismus zu diffamieren, ist sachlich nicht gerechtfertigt, vielmehr als pure Polemik, als Kritikverbot zurückzuweisen.

Die Gesellschaft der USA sieht sich heute vor allem mit folgenden kritischen Positionen konfrontiert, die zu verifizieren bzw. zu falsifizieren sind:

- Der globalisierte us-amerikanische Kapitalismus erweist sich als volks- und weltwirtschaft

  lich disfunktional, ökologisch destruktiv und weltpolitisch imperialistisch.

- Die us-amerikanische Militär- und „Antiterror“-Politik erweist sich - ohne Vorliegen einer

   nur militärisch zu bannenden Gefahr - als eine Politik weltweiter (ökonomischer) Macht-

   und Einflußsphären-Sicherung und innenpolitisch stark bestimmt vom militärisch-

   industriellen Komplex.

- Die amerikanische Wissenschaft und Kulturindustrie (Bücher, Filme, Internet, U-Musik,

  fast-food) überschwemmen und enteignen/marginalisieren alle anderen Weltkulturen und -

   sprachen und prägen - oft auf einem aus kommerziellen Gründen entdifferenzierten, unzu

   lässig vereinfachenden Niveau - einen globalen Einheits-Lebensstil.

- Der us-amerikanische entdifferenzierte, kommerzialisierte Lebensstil bemächtigt sich der

   menschlichen Intimsphäre und denaturiert/synthetisiert insbesondere weltweit die weibliche

   Persönlichkeit im Interesse der Kosmetikindustrie in Richtung auf steril-plakathafte Sexua-

   lisierung und Fremdbestimmung.

-  Die us-amerikanische Gesellschaft ist durch extreme Gewaltbereitschaft (weitverbreiteter

   Waffenbesitz, Selbstjustiz, jährlich 10 000 Morde; Todesstrafe) gekennzeichnet.

-  Die Praxis der amerikanischen Demokratie und ihrer Wahlkampagnen ist weithin durch Ab-

   hängigkeit von kommerzieller Finanzierung alternativlos an die Interessen der kapitalisti-

   schen Machtelite gebunden - das (durchaus vorhandene) linke Wählerpotential hat wahlpo-

   litisch daher keinerlei Chancen, die Wahlbeteiligung ist extrem gering, die Mehrheit der

  US-Amerikaner nimmt daher am politischen Prozeß nicht teil.

Zu beachten sind die alternativen Lebensformen und die (selbst)kritische Literatur einer bedeutenden us-amerikanischen Minderheitskultur, die die USA-Kritik stark unterstützen.

 

 

 

Fritz Vilmar

Strukturen des amerikanischen Kapitalismus [1]   

Sozioökonomische Grundlagen zur USA-Kritik 

                                                                                                                        

Vorbemerkung

Bei unserer Kritik politisch-ökonomischer, weltweit wirksamer us-amerikanischer Strukturen wird sich zeigen, dass alle Elemente der amerikanischen Gesellschaft, die wir kritisch analysieren, mit dem amerikanischen Kapitalismus aufs engste verknüpft sind. Ich habe mich daher entschlossen, hier einen grundsätzlichen Beitrag über einige der wichtigsten negativen sozioökonomischen Erscheinungen der USA beizusteuern. Es kann sich dabei nur um ein möglichst umfassendes, aber grobes Resümee handeln, um einen Versuch der Orientierung, die in den folgenden Referaten mitberücksichtigt und auch korrigiert bzw. präzisiert werden sollte.

Der amerikanische [2] Kapitalismus: ein hegemonialer Teil des Weltkapitalismus

Natürlich ist es richtig (aber zugleich so selbstverständlich, daß es keiner besonderen Erwähnung bedarf): dass es keinen amerikanischen Kapitalismus für sich gibt. Er ist Teil eines weltkapitalistischen Systems.

 Ich werde hier also sprechen über den amerikanischen Kapitalismus als - allerdings hegemonialen - Teil des Weltkapitalismus. Er ist nicht primär als ein amerikanisches Phänomen zu analysieren, sondern als führende Macht eines weltweiten ökonomischen Systems. Und dieses System hat sich nicht zuletzt unter amerikanischem Einfluß auf eine bedrohliche Weise verändert, imperial-destruktiv, ökologisch-destruktiv und auch kulturell-destruktiv. Ich werde versuchen, einige Schwerpunkten zu skizzieren, die zeigen können, warum der Kapitalismus speziell unter der Führung der USA zu einer außerordentlichen Bedrohung der Weltkultur geworden ist.

Der Kapitalismus tritt in Gestalt dieser Hegemonialmacht zugleich in einer besonderen Qualität in Erscheinung, nämlich vermöge der politisch-militärischen  Weltmachtpolitik der USA: als eine neokolonialistische bzw. neoimperialistische Herrschaftspolitik. Das heißt, er ist nicht einfach ein Teil des weltweiten Kapitalismus, sondern dies in einer besonderen politisch-militärischen Zuspitzung. Daher hat mein Referat zwei Teile:

  1. der Kapitalismus als weltökonomisches System und
  2. dann die Rolle des amerikanischen Kapitalismus in diesem Gesamtsystem.

Negative Auswirkungen des Weltkapitalismus (Überblick)

Was den Kapitalismus des 20. Jhd. insgesamt betrifft, gilt es zwei Phasen zu unterscheiden. Es gab eine etwa 150-jährige kapitalistische Periode eines beispielslosen industriell begründeten Zivilisations- und Wohlstandsprozesses. Auch dieser Prozeß war begleitet von ungeheueren Zerstörungen und Verlusten insbesondere in den vorkapitalistischen Gesellschaften, aber insgesamt war es ein produktiver Prozess   der Wohlstandssteigerung (auch der produktiven Zerstörung) und des politisch-sozialen Fortschritts.

Seit den siebziger Jahren des 20. Jhd. entwickelt sich dagegen zunehmend ein Prozess der Zerstörung und der Selbstzerstörung der modernen kapitalistischen Zivilisation -  nicht zuletzt ihrer demokratischen und sozialen Errungenschaften. Ich nenne hier nur einige der gravierendsten destruktiven Prozesse:

  1. Der Prozess der Plünderung des Erdballs nimmt zuvor nicht derart umfassend und final in Erscheinung getretene Formen an – ich nenne nur seine fossilen Energieressourcen, die Wälder, den fruchtbaren Boden, die Atemluft und das Wasser.  Wie sie alle wissen, steuert das alles zu auf eine Klimakatastrophe und in die Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen.
  2. Statt einer „Entwicklung“ und Demokratisierung der „Dritten Welt“ erleben wir eine zunehmende Verelendung und Korrumpierung der meisten postkolonialen Staaten Afrikas, Asiens und Iberoamerikas. Es genügt ein Blick auf die unendliche Kette von Bürgerkriegen (verursacht von „Warlords“, deren Herrschaft vielfach von westlichen Wirtschafts- und insb.Ölinteressen finanziert wird), um klarzumachen, dass der Prozess der allmählichen Entwicklung sich weitgehend ins Gegenteil entwickelt hat.
  3. Wir erleben einen Prozess der Entleerung und Verelendung des „flachen Landes“,  eine Verstädterung, dh. eine Flucht in Industrieregionen und Städte, die sich zunehmend in unbewohnbare Slums verwandeln.
  4. Wir erleben als Produkt der kommerziellen Medien- und Unterhaltungsindustrie einen Prozess der Neo-Analphabetisierung, eines neuen, schon weitgehend überwunden geglaubten Analphabetentums, der die Menschen, und insbesondere die jüngeren Generationen auf dem Niveau von Mickey Mouse und gewalttätigen Videospielen infantilisiert und deaktiviert.
  5. Wir erleben vor allen Dingen - das ist wahrscheinlich die zentrale zivilisatorische Katastrophe - eine Rückgängigmachung der sozialen Errungenschaften (der „Sozialen Marktwirtschaft“), die mit Hilfe von gewerkschaftlich und demokratisch- sozialstaatlich durchgesetzten Einrichtungen – Sozial- und Arbeitsschutzrecht, Tariflöhnen, kostenfreien Bildungsstätten für alle, sozialen Infrastrukturen der Kommunen etc. -  den Manchester-Kapitalismus des  19. Jhd. überwunden, bzw. sozial abgefedert und zivilisiert hatten.Durch die Deregulierung von sozialen und arbeitsrechtlichen Standards im Interesse eines schrankenlos enthemmten Profitprinzips – s. 6 -, die damit verbundene Diskreditierung und Entmachtung von Gewerkschaften und die zunehmende Privatisierung  des öffentlichen Wirtschafts- und Dienstleistungssektors [3] vollzieht sich dieser Prozess einer Erosion und der Destruktion der sozialen Demokratie.
  6. Es vollzieht sich ein zunehmender Pervertierungsprozess, der Marktwirtschaft selbst,        des seit Mitte der 70er Jahre fast weltweit stagnierenden Kapitalismus. Seine Erträge, Profite, fließen in immer geringerem Maße in Form von Löhnen, Massenkaufkraft und Investitionen dem Wohlstandsprozess zu, vielmehr fließen sie mangels produktiver Anlagemöglichkeiten (daher die Stagnation, infolge einer Weltmarktsättigung) nach dem Prinzip der optimalen Chareholder Values zur Sicherung optimaler Bilanzergebnisse in spekulative Finanzanlagen. (Ich habe dazu Schaubilder mitgebracht, die ich auch in den Apparat stelle [4] .)Diese spekulativen Finanzanlagen machen nach dieser Statistik 23 Billionen Dollar, nach anderen Schätzungen sogar das Sechsfache aus, gegenüber 3,2 Billionen realer Ausgaben für den Welthandel. Das heißt, reale Wirtschaftsprozesse werden finanziert mit ungefähr 3,7 Billionen Dollar, dagegen 23 Billionen fließen in die reine Finanzspekulation. Eine andere Statistik des „Weltatlas“ besagt: Täglich fließen 700 Milliarden Dollar in die Devisenmärkte, produktiv dagegen nur 17 Milliarden für reale Wirtschaftstransaktionen/Investitionen etc. Ein sehr großer Teil des Kapitals bewegt sich also heute jenseits eines realen, produktiven Wirtschaftsprozesses in diesen spekulativen Märkten. (Vgl. Atlas der Globalisierung S. 56f.) Warum? Es geht darum, in der Konkurrenz der Börsenwerte zu den Siegern zu gehören, die andere schlucken, weil man höhere Börsenwerte erzielt, und nicht zu den Loosern mit schlechten Börsennotierungen, die von anderen geschluckt werden.
  1. Diesem extremen Gewinnmaximierungsprinzip folgend, werden Staaten ( mit Standort- und Wähler drohungen [wer Steuern senkt, wird gewählt]) zu immer weiteren Steuersenkungen gedrängt [5] . Dieser Prozess des rasanten Steuerverlustes trägt wesentlich bei zum Abbau sozialstaatlicher Einrichtungen - bis hin zur Pauperisierung der Arbeitslosen, durch ständige Kürzung der Arbeitslosenrenten.  Diese Entwicklung führt dazu, dass der Staat als politischer Akteur verschwindet. Er ist nicht mehr in der Lage, soziale gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen, sie werden erfüllt“ von diesen rein profitorientierten Wirtschaftsmächten.
  1. Eine besonders  destruktive Folgeerscheinung  des herrschenden Weltkapitalismus ist die Liquidation der kulturellen Vielfalt, nicht nur speziell in Deutschland, sondern weltweit (die größten Widerstände kommen heute aus Südamerika). Durch Export der Massenproduktion der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, insbesondere durch die systematischen Desinformation und Brutalisierung des Massenbewusstseins durch das profitträchtige Angebot von crime-and-sex-Produkten in fast allen Medien. Nach diesem  allgemeinen Resümee der destruktiven Auswirkungen des gegenwärtigen Kapitalismus (ich hoffe, dass wir sie in den Referaten dann im einzelnen kritisch untersuchen können) werde ich jetzt, im 2. Teil, die Rolle des amerikanischen Kapitalismus in diesem Destruktionsprozess zusammenfassend darstellen.
Die destruktiven Tendenzen des amerikanischen Kapitalismus

1.      Im Kapitalismus insgesamt, aber speziell im amerikanischen Kapitalismus vollzieht sich eine nicht durch freien Wettbewerb, sondern durch Machtpolitik geprägte Globalisierung. Dies USA stellen heute 32% der 100 größten Multis, die weltweit agieren. Die Belege stehen zur Verfügung (Atlas der Globalisierung,68f.). Diese Globalisierung ist nicht eine große Weltmarkterweiterung, sondern vor allem eine  Weltmarktbeherrschung. Die US-Multis beherrschen dabei ungefähr einen Drittel  des gesamten globalen Wirtschaftsprozesses (32,2 % des Gesamtumsatzes der Multis). Die Amerikaner sind also zwar keineswegs die einzigen auf dem globalen Markt. (Die Japaner folgen bzw. folgten dem amerikanischen Kapitalismus dicht auf (28,2 %). Die amerikanische  Industrieproduktion macht 22,4% der Weltproduktion aus, also ungefähr ein Viertel, die japanische 17,6%, der Rest verteilt sich auf der anderen Staaten. Es ist also klar: Selbstverständlich ist der amerikanischre Kapitalismus nur ein Teil der weltkapitalistischen Prozesse. Aber durch seine Konzentration und seinen Verbund mit politischer und militärischer Macht, kann er eine weit überproportionale Wirkung erzielen: Er ist,  im Vergleich zu anderen kapitalistischen Machtgruppen, sehr viel aggressiver.

2.      Bei der Umweltzerstörung spielt der amerikanische Kapitalismus eine führende Rolle. Sie erinnern sich, dass die amerikanischen Präsidenten, insbesondere jetzt zuletzt Bush, sich geweigert haben, die Kyoto-Protokolle zu unterzeichnen, und damit auch nur minimal Selbstverpflichtungen zu Verhinderung der Klimazerstörungen und Umweltgifte einzuleiten.

Im Gegenteil: Statt voranzugehen beim Umsteuern auf solare Energien verfolgen die USA eine absolut imperialistische Politik der Beherrschung sämtlicher fossiler Energieressourcen (die nach seriösen Schätzungen in 30-40 Jahren erschöpft sind) und fahren fort in deren verschwenderischem Verbrauch.

3.      Bei der  weltweiten Zerschlagung sozialer oder gar sozialistischer Gegenkräfte spielt der amerikanische Kapitalismus eine führende Rolle. Beispiele sind Chile (die Ermordung Allendes, die nachweislich durch den CIA initiiert worden ist, die Einsetzung der Militärdiktatur von Pinochet.) Ein weiteres Beispiel ist Kuba, das am Rande des Staatsbankrotts gehalten wird, weil die USA Kuba mit einem großen Embargo umgeben. Prototypisch war die Besetzung Grenadas, einer kleinen mittelamerikanischen Insel, aber als Beispiel wichtig, als dort eine sozialistische Mehrheit gewählt und alsbald von den USA durch eine Militäraktion liquidiert wurde. Immer wieder wurde unmittelbar politisch und militärische Macht angewendet, um antikapitalistische, soziale Gegenkräfte in der Welt im Keime zu ersticken.Die Korrumpierung von Gewerkschaften der USA ist ein weiteres Kapitel dieser antisozialisti schen Repressionspolitik.

Der amerikanische Kapitalismus betoniert seine imperiale Macht durch den Aufbau eines weltweiten Systems militärischer Stützpunkte: Wir haben es mit über 30 großen militärischen Stützpunkten in der gesamten Welt zu tun (Atlas d. Glob. 94f.) Die USA sind der einzige Staat, der in dieser Weise weltweit militärisch präsent ist! (Ausnahme, die die Regel bestätigt: GB auf den Falklandinseln und Gibraltar.) Diese weltweite Militärpräsens dient insbesondere zur Sicherung der Weltenergieressourcen.

4.      Die ungeheuere Finanzmacht der Vereinigten Staaten ist in der Lage, konterrevolutionäre Regimes und Herrschaftsgruppen in der Welt zu „kaufen“. Das ist in Afrika und Südamerika nachweisbar und bekannt. Sie sind auch in der Lage, solche Regimes zu bewaffnen. (Pinochet gegen Allmende in Chile, Saddam gegen den Iran, Bewaffnung der Taliban gegen die Besetzung Afghanistans durch die Sowjetunion, Stützung des Batista-Regimes in Kuba, das praktische eine Insel der United Fruit Company war.

5.      Bei der  Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen in der ganzen Welt spielen die amerikanisch geleiteten Wirtschaftsorganisationen (vor allem die Weltbank, der Internationale Währungsfond, die Welthandelsorganisation und, sich gegenwärtig als besonders gefährlich erweisend, die GATS) eine führende Rolle. Durch Privatisierung weltweit sind in den letzten Jahren 240 Milliarden Dollar in die Kassen der Staaten, bzw. der Gläubigerbanken geflossen. In Argentinien beispielsweise, aber auch in anderen Ländern hat man die Liberalisierung der Wirtschaft und die Privatisierung von sozialstaatlichen Einrichtungen den Zusammenbruch der gesamten Ökonomie und des Sozialstaats bewirkt.

In der  Ideologie der Staatssanierung hieß: Schuldentilgung: rigorose Liberalisierungsprozesse. Warum wollte die Weltbank dort nicht helfen? Die Weltbank hat geholfen, mit einem Riesenkredit (2 Mrd. Dollar) unter der Bedingung rigoroser Privatisierung und rigorosen Abbaus sozialstaatlicher Einrichtungen, Zulassung des „freien Welthandels“. Nur dass in diesen Ländern der freie Welthandel bedeutet., sie auszuliefern (insbesondere die Landwirtschaft) dem amerikanischen Preisdruck.

6.      Die systemische Folge dieser Machtergreifung der großen, us-amerikanisch dominierten Wirtschafts- und Handelsorganisationen ist: Die Staaten und ihre demokratische Steuerung verschwinden mehr und mehr aus der politischen Arena. Ihre Funktionen werden übernommen von diesen internationalen Organisationen, die nicht rein amerikanisch sind, in denen aber überall  die Amerikaner dominieren. Die nichtamerikanischen Partner in dieser Weltbank, IWF, WTO und GATS stellen, soweit nicht europäische Handelsinteressen im Spiel sind, kein Gegengewicht dar, weil ihre Herrschaftsinteressen natürlich genauso kapitalistisch sind wie die der Amerikaner. Und sie handeln zum Teil auch unter dem ideologischen Zwang der Amerikaner, weil diese als die Vorreiter der Liberalisierung gelten. Die Liberalisierung gilt als der Weg in die Freiheit, in den Wohlstand, in das Wachstum. In Wirklichkeit führt sie zur Zerstörung von Volkswirtschaften, von Gesellschaften, wenn man diese der sozial fortschrittlichen und  wirtschaftlich notwendigen Protektionen beraubt.

7.      Nicht  zuletzt  sind die Amerikaner führend in der Produktion und im Export dessen, was ich  entdifferenzierende Produkte der Kultur- und Unterhaltungsindustrie nennen möchte. Ich nenne hier als einzelne Sektoren nur die Filmindustrie, die Pop- und Rockmusikindustrie, die Kosmetik, die Literatur und den Wissenschaftsbetrieb. Zunächst einmal werden einige sagen, dass Wissenschaft in diesem Zusammenhang nicht so bedeutend sei. In Wirklichkeit ist die Wissenschaft, weil gerade auch viele Studenten nach Amerika kommen, eine außerordentliche große Wachstumsbranche.

8.       Die  Herrschaftsfunktionen des amerikanischen Kapitalismus im Wissenschaftsbetrieb sind nicht einfach durchschaubar. Der französische Wissenschaftssoziologe hat sie wie folgt beschrieben [6] :

„3 Länder (Vereinigte Staaten, England, Niederlande) besitzen 71,1% der wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die eigentlichen Beiträge kommen aber aus Japan, Frankreich und Deutschland ... Die Tendenz ist steigend, da heute junge Forscher aus Karrieregesichtspunkten gedrängt werden, etwas in Englisch zu publizieren, da sie dann und nur dann in der Datenbank zitiert werden - was wiederum  ... als Kriterium ihres Ranges angesehen wird. Je öfter zitiert, je besser der Forscher. ...  So diktieren die angelsächsischen Wissenschaftler ... wer veröffentlicht wird und wer nicht. ... Der Wissenschaftler, der in Englisch veröffentlichen will, schickt seine Ergebnisse ein, die vor der Veröffentlichung von Fachgutachtern beurteilt werden. Ist das Resultat gut, besteht die Versuchung (besonders in den USA), diese Information, die man unaufgefordert „auf dem silbernem Tablett“ erhalten hat, industriell zu vermarkten. Wie will jemand den Diebstahl einer Idee, die noch nirgends veröffentlicht wurde, beweisen? Den Amerikanern aber erspart es jahrelange Forschung. ... Wer heute erfolgreich sein will, muß Aufenthalte an amerikanischen Universitäten nachweisen. Das Ziel ist dabei, die Studenten zu motivieren, für amerikanische Firmeninteressen einzutreten.“ [7]

9.           Der Einfluss des „Großen Geldes“ deformiert weitgehend die  demokratischen Prozesse und Strukturen in den USA. In Amerika kann man politisch-demokratisch keinen Einfluss gewinnen, wenn man nicht sehr reich ist und/oder als Parteipolitiker die Hilfe reicher Sponsoren erhalten kann. Der Kapitalismus prägt die Demokratie:.

Die Summen, die für einen Wahlsieg benötigt werden, sind kaum vorstellbar. Der Wettlauf um einen Sitz im Senat kostet bereits über 3 Millionen Dollar, während Dole 4o Millionen Dollar brauchte, nur um die republikanische Präsidentschaftsnominierung für 1996 gegen seine zahlreichen Gegner durchzusetzen. Reiche Männer wie Ross Perot in der Wahlkampagne von 1992 und Steve Forbes in den republikanischen Vorwahlen von 1996 haben aus ihrem Privatvermögen 65 beziehungs­weise 45 Millionen Dollar beigesteuert. In der Regel zieht sich ein unterlegener Kandidat nach den Vorwahlen nicht deshalb zurück, weil er besiegt worden ist, sondern weil er danach kein Geld mehr findet, um den Kampf fortzusetzen.“ (Sylvers, 1999, 287)

Transskript: Feza Inan


 

 

Fritz Vilmar

Zur normativen Ideologie der „Westernisierung“ der BRD

- und der USA als dessen Leitsystem

In den neunziger Jahren hat sich eine Ideologie der „korrekten“ staatlich-gesellschaftlichen Orientierung der BRD entwickelt [1] , die der ideologiekritischen Analyse bedarf: die einer erstrebenswerten – Westernisierung Deutschlands.

Diese Idee einer teils erfolgten, teils weiterhin notwendige Integration in eine „westliche“ demokratische „Wertegemeinschaft“  erweist sich bei genauerer Analyse als ein ebenso simpler wie begrifflich verworrener und verwirrender Versuch, Deutschland auf einen „Liberalismus“ festzulegen, in dem die Idee demokratischer Menschenrechte und parlamentarischer Demokratie unkritisch vermischt erscheinen mit einer „liberalen“ Marktwirtschaft – zu gut deutsch: mit  der Akzeptanz der kapitalistischen Ökonomie.

Bei Lichte besehen erweist sich diese zu einer liberalen „westlichen Wertegemeinschaft“ hochstilisierte trübe Mischung von Parlamentarismus und Wirtschafts-liberalismus  - unter dem  abscheulichen Namen „Westernisierung“,  der dem inhaltlichen Trüb-Sinn adäquat ist! – als Variante des alten Antisozialismus: der „Westen“, normativ aufgewertet als Inbegriff alles Guten, Modernen, Freiheitlichen gegenüber dem  dumpfen, totalitären „Osten“:

„Zehn Jahre nach dem Fall des Kommunismus erlebt ein Begriff, der einst der ideologischen Mobilmachung gegen Moskau diente, in den Reden deutscher Politiker ... und in den Schriften deutscher Historiker und Publizisten eine fast schon unheimliche Renaissance. Vor allem auf die historische Zunft üben der Westen und davon abgeleitete Termini wie Verwestlichung und Westernisierung eine wachsende Faszination aus [2] .“

Und die USA figurieren in dieser “aufgewerten“ Geo-Ideologie dann flugs als die Inkarnation des guten Westens : Weltmacht und Weltidee der freiheitlichen „Wertegemeinschaft“ fließen hier zusammen – et voilà:

Wer gegen die USA ist, stemmt sich imgrunde gegen die „Westernisierung“, gegen den Weg Deutschlands in die politische und (markt)wirtschaftliche Freiheit.

Der hauptsächliche begriffliche Taschenspielertrick, mit dem hier gearbeitet wird, ist die undifferenzierte Verwendung des Liberalismus-Begriffs, geflissentlich missachtend, dass der politische Liberalismus, also der Rechtsstaat und die parlamentarische Demokratie, mit seinen unbestreitbaren Freiheits- und Menschenrechten, absolut nichts gemein hat mit dem ökonomischen  Liberalismus, der im Kern nichts anderes ist als die „unternehmerische Freiheit“ im Sinne möglichst schrankenloser Herrschaft der Produktionsmittelbesitzer, die bekanntlich die Unfreiheit, die Abhängigkeit der großen Masse der  Nicht-Besitzenden zur Folge hat.

Mit anderen Worten: Die „westliche Wertegemeinschaft“ ist nichts anderes als ein ideologisches Konstrukt, eine Vermischung zweier völlig verschiedener Freiheitsbegriffe, mit dem Ergebnis einer normativen Aufwertung des Kapitalismus, und ein de facto ideologischer Appell an „die Deutschen“, sich zu dieser „Wertegemeinschaft“ zu bekennen. Kritik an den USA als dem angeblichen Kernland dieser „Wertegemeinschaft“ wird demzufolge (wie in den einleitenden Thesen bereits dargelegt!) als „Antiamerikanismus“, und dieser als „antiwestliche“, letztlich antidemokratische Haltung denunziert.

Dieser Versuch einer Festlegung der Deutschen (anderen Nationen ist diese Diskussion fremd!) auf die – zugleich proamerikanische – Westernisierung wird untermauert mit der Beschwörung  einer bundesrepublikanischen „Erfolgsgeschichte“ (zB. von Historikern wie H. A. Winkler und A. Schildt), nämlich ihrer „Ankunft im Westen“ seit den sechziger Jahren (Schildt), die den unseligen antiwestlich orientierten „deutschen Sonderweg“ des deutschen „Reiches“ endlich hinter sich gelassen habe.

Auch hier eine nicht kritisch reflektierte Vermischung von Positionen und Tendenzen:  Die zweifellos notwendige Abrechnung mit den zwischen 1871 und 1945 in Deutschland/Österreich virulenten konservativ-antidemokratischen, zT. großdeutschen „Reichs“ideologien hat keineswegs zur Konsequenz ein unkritisches Bekenntnis zur Westernisierung im Sinne der bundesrepublikanischen Westbindung, die bekanntlich wesentlich geprägt war durch die bedingungslose Unterwerfung unter die us-amerikanische Strategie des Antikommunismus: ideologisch, militärisch, wirtschaftlich und politisch. (Ebenso „bekanntlich“ hat sich das wirkliche ideelle Kernland des „Westens“ und seinen „Ideen von 1789“, Frankreich, genau dieser „Westernisierung“ unter us-amerikanischer Hegemonie verweigert: de Gaulle und seine Nachfolger traten nicht dem militärischen Westbündnis, der NATO, bei – jedenfalls nicht seinem militärstrategischen Integrationskonzept.)

Wenn man also dem gegenwärtigen Deutschland eine leitende demokratische und soziale Orientierung empfehlen will, so wären es in der Tat die  „Ideen von 1789“ und nicht eine zweideutige „westliche Wertegemeinschaft“ unter us-amerikanischer Hegemonie.

 

 



[1] Im Detail dazu die in meiner Bibliographie genannten Publikationen: Antiamerikanismus, Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 1 März 2000; Anselm Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20 Jahrhundert.. Göttingen 1999; Im Sog des Westens (Vorgänge-Schwerpunkt-Heft, H. 2, Juni 2001; Axel Schildt, Ankunft im Westen. Ein Essay zur Er­folgsgeschichte der Bundesrepublik, Frankfurt/M. 1999; Gesine Schwan, Antikommunismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Kontinuität und Wandel nach 1945, Baden-Baden 1999

[2] Philipp Gassert, Der Westen als nationaler Mythos der Berliner Republik, in: Frankf. Rundschau v. 19. Sept. 2001, Abdruck aus „vorgänge“, H. 154, 2/2001.

 

 

 

 

 

 

 


[1] Band-Transkript, vorläufige, weiter zu überarbeitende Fassung (Mai 03)

[2] Es versteht sich ebenfalls von selbst, dass hier stets us-amerikanisch gemeint ist, wenn öfter abgekürzt von „amerikanisch“ gesprochen wird.

[3] Attac hat seit einiger Zeit ihre Protestaktionen mit Recht besonders auf die sogenannte GATS gerichtet (General Agreement on Trade in Services). Diese zur Privatisierung freigegebenen Dienstleistungen umfassen vor allem: Sozialdienste, Gesundheitswesen, Energie, Personen-  und Gütertransport, Tourismus, Museen, Bibliotheken, Verwaltung, Reinigungswesen, Müllentsorgung, Kultur, Schulen (auch Forschung an Universitäten), Post, Wasserver- und -entsorgung, Radio, Fernsehen, Altenpflege und Kinderbetreuung,..

[4] Alle nach dem „Weltatlas der Globalisierung“ (taz-edition 2002)

[5] Dabei wird die Ideologie des Wachstums und der Arbeitsplatzförderung vorgeschoben. Man kann jeden Tag in der bürgerlichen  Wirtschaftspresse hören, „die Steuern müssen gesenkt werden, damit die Industrie mehr investiert, damit auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden“. Das ist eine Ideologie, die wir seit Anfang der 80er Jahre hören. Die empirischen Ergebnisse zeigen, dass diese „Angebotsökonomie“ nicht zur Arbeitsplatzbeschaffung geführt hat. Sie ist also seit 20 Jahren falsifiziert worden. Man muss leider feststellen, dass der angebliche Sozialdemokrat Schröder nicht anders handelt. Was passiert, ist die Verbesserung der Profitmöglichkeiten der Wirtschaft, aber diese verbesserten Profitmöglichkeiten fließen nicht in Investitionen und Schaffung von Arbeitsplätzen.    

[6] Charles Durand,La mise en place des monopoles du savoir, Paris 2001. Ich zitiere hier aus der ins Deutsche übersetzten Zusammenfassung, in: Kurt Gawlitta/Fritz Vilmar (Hsg.) „Deutsch nix wichtig“? Engagement für die deutsche Sprache, Paderborn 2002, S. 102ff.

[7] Die ausserordentliche Bedeutung der amerikanischen Sprache im Wissenschafts-, Lizteratur und sonstigen Unterhaltungsbereich, aber auch die devote Tendenz gewisser Schichten gerade in Deutschland, sich der Amerikanisierung der Sprache zu fügen, wird in unserem Sammelband umfassend dargestellt: Kurt Gawlitta/Fritz Vilmar, „Deutsch nix wichtig“? Engagement für die deutsche Sprache, Paderborn 2002,

 

 

 

 



Vilmar: Produktion wissenschaftlicher (Haus-)Arbeiten: Präzisierung der Fragestellung - Erarbeitung des Materials - Herstellung des Textes

Ü/PS Mi 16-18 Uhr Ihnestr. 22/UG 2

Es handelt sich um eine vorwiegend praktisch orientierte Übung (ohne Leistungsbesch. aber mit der Selbstverpflichtung, zu Übungszwecken oder auch im Blick auf geplante (Vor-)Diplomarbeiten Gliederungen, Kurztexte o.ä. zur gemeinsamen Besprechung zu schreiben). Ziel ist: mit richtig präzisierter Fragestellung, mit richtiger Einschätzung der eigenen (zeitlichen) Realisierungsmöglichkeiten, mit richtigen „Produktions“-Schritten zu einem formal angemessenem Produkt zu gelangen.

Die Zusammenarbeit gliedert sich wie folgt:

1. Diskussion und Vortrag FV: Was heißt eigentlich wissenschaftlich arbeiten
    (im Unterschied bei
spielsweise zu einer literarischen oder essayistischen oder journalistischen Arbeit)?

    Erarbeitung und Festlegung der Bestimmungselemente w.A.

2. Organisation wiss. A. - a) allgemein: Arbeitsrahmen:

-  Fragestellung klären

-  Machbarkeit (Zeitbudget, Materiallage; elektronische Instrumente) klären

3. Organisation wiss. Arb - b) speziell: Arbeitsschritte:

-  eine erste (noch korrigierbare)Gliederung der Arbeitsschritte zur
   Beantwortung meiner Frage entwerfen

-  Material systematisch sammeln: Welches Material? - wie sammelt man systematisch?
   Hilfsmittel zur
Materialbeschaffung kennen/nutzen -
   Internet ist nicht alles - wie liest man a) selektiv - b)intensiv?

-  Schreiben ohne Angst: Mosaik-Prinzip: Nicht zu lange „Sammeln“,
   bis man von A bis Z alles nieder
schreiben kann, sondern Teilergebnisse niederschreiben und nach und nach komplettieren, zusammenfügen. Die Einleitung zuletzt (Was muß drin stehen - was nicht?)

-  Nicht bei der Deskription stehen bleiben: Am Ende das Fazit und das eigene Urteil: die Krönung.

4. Ein mündliches Referat vorbereiten und halten. Hilfen für die Zuhörer.

Diese theoretischen und praktischen Grundelemente wissenschaftlicher Produktion werden geübt, Ergebnisse kopiert oder auf Folien geschrieben und gemeinsam begutachtet.

Semesterplan (vorläufig):

16. April: Einführung: Besprechung des Ab laufs

23. April: Einführung: Besprechung des Ablaufs -Vorstellung und Diskussion/Verbesserung des Semesterplans

30. April: Vilmar: Was heißt wissenschaftlich arbeiten? Wissenschaftstheoretische und

                 methodische Grundsätze

07. Mai:   Vilmar: allgemeine und technisch-praktische Organisation wiss. Arbeit

                (Arbeitsschritte; Materialsammlung etc.)

14, Mai:   Erste praktische Übung: Herstellung einer Gliederung (30 Min.)

                Besprechung/Kritik mithilfe von Folien)

21. Mai    Fortsetzung der Besprechungen/Kritik/Verbessserungen

28. Mai:   Zweite praktische Übung: Text-Klausuren (45 Min.) - Besprechung

04. Juni:   Fortsetzung

11. Juni:   Fortsetzung; „Hausaufgabe“ für den 18. Juni

18. Juni:   Dritte praktische Übung: Kurzreferate zu selbstgewählten Themen;

                 Besprechung

25. Juni:...Fortsetzung

02. Juli:    Fortsetzung

09. Juli:   .Zusammenfassende Diskussion: Essentials wissenschaftlichen Arbeitens